Der Katalog zur Ausstellung

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© Helmuth Hager, Christiane Herold 2021
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VORWORT

 

Das Triptychon, ein - wie der Name sagt – „dreigefaltetes“ Bild war seit der Spätantike vor allem in religiösen, rituellen Kontexten ein beliebtes Bildformat. Denn auf den drei, unterschiedlich großen, oft mit Scharnieren befestigten und dadurch klappbaren Tafeln konnten von links nach rechts laufende (Bilder-)Geschichten erzählt, aber auch Verbindungen zwischen Figuren und Ereignissen hergestellt werden, die räumlich und zeitlich weit auseinanderlagen. Da schauten dann Stifter oder Heilige auf ein im - meist sehr viel größeren - Mittelteil abgebildetes biblisches Geschehen, rahmten dieses gleichsam und brachten sich selbst in die heilsgeschichtliche Erzählung ein, ja wurden Teil desselben. Dank des Klappmechanismus war es dabei auch möglich, die Bilder vor den Augen der Betrachter zeitweise zu verbergen, um sie nur zu besonderen Anlässen, z.B. an Sonn- und kirchlichen Feiertagen, zu enthüllen. Dies steigerte wie im Theater die Spannung. Kleinere Triptychen wurden häufig aus Elfenbein geschnitzt oder aus Gold und Metall getrieben, vor allem, wenn sie als Reliquienbehälter dienten. Man benutzte sie aber auch gerne als private Altäre zuhause oder auf Reisen, wo sie zusammengeklappt gut im Gepäck mitgenommen werden konnten. Monumentale Triptychen schmückten seit dem Ende des 12. Jahrhunderts die Altäre der Kirchen. Oft waren sie als retable mixte gearbeitet, d.h. Malerei, Skulptur und Goldschmiedearbeiten verbanden sich zu einem lebendigen Schaubild, das von allen Seiten, im aufgeklappten wie im geschlossenen Zustand dem Betrachter immer wieder neue An- und Einblicke bot. Auch hier im Kloster Benediktbeuern gab es bis zur Säkularisation 1804 ein um 1520/30 entstandenes gemaltes Anbetungstriptychon der Könige von Cornelis van Cleve[1]. Zwar blieben bis zum vorläufigen Schlusspunkt dieser Bildgattung, der „Kreuzabnahme“ Peter Paul Rubens von 1710, Triptychen weitgehend auf den kirchlichen Raum beschränkt. Aber mit dem um 1500 entstandenen Triptychon „Der Heuwagen“ von Hieronymus Bosch erobert dieses doch auch den profanen Raum. Denn mit dem Sündenfall auf der, vom Betrachter aus gesehen, linken Tafel und dem Höllensturz auf der rechten ist der christlich-religiöse Tenor zwar nicht zu übersehen, aber die Mitteltafel mit der lustvollen und detailversessenen Gestaltung einer prallen, von allen gesellschaftlichen Ständen bevölkerten Welt des 16. Jahrhunderts war kaum dazu angetan, als Altarbild zu dienen. Der Betrachter steht hier nicht mehr andächtig betend vor einer biblischen Szene, sondern er wird in das Bild hineingerissen, ist es doch seine Welt, die er sieht, sein Leben, seine Arbeit, seine Ausschweifungen, sein erfolgreiches wie scheiterndes Tun. Die Konsequenzen dieses Tuns werden ihm dann in den Höllenqualen des rechten Seitenflügels drastisch und mit der Lust am Grotesken vor Augen geführt.

 

 

 

Neu entdeckt wurden die „Pathosformeln“ der Bildkunst, wie Klaus Lankheit[2] treffend Triptychen bezeichnet, wieder im beginnenden 20. Jahrhundert. Die spirituelle Komponente schwingt zwar allein durch die gewählte Bildform mit, aber sie ist nicht länger auf eine bestimmte Glaubensrichtung bezogen. Wenn etwa 1906 Oscar Obier eine Anatomiestunde als Triptychon[3] malt – im Mittelteil seziert der Professor die Leiche, in den Seitentafeln schauen die Studenten in ihren Bänken zu -, dann gemahnt dies zwar durchaus an die Ikonographie der Kreuzabnahme, aber die Religion wird durch den Glauben an die Naturwissenschaft ersetzt. Seither gehört das Triptychon wieder zu einer beliebten Bildgattung, mit der den Künstlern und Künstlerinnen eine „Spielwiese“ für das Experimentieren mit Formen, Farben, Geschichten und Welterfahrung zur Verfügung stand.

 

So hat sich etwa Max Beckmann seit den 1930er Jahren intensiv mit mittelalterlichen Triptychen beschäftigt und das „dreigefaltete“ Bild zu seiner bevorzugten Darstellungsform gemacht. Die Bildmotive seiner 10 Triptychen nimmt er aber nicht aus der christlichen Ikonographie, sondern vielmehr aus der Mythologie, dem Theater, Varieté und Zirkus. Ganz ähnlich orientiert sich Otto Dix bei seinen beiden Triptychen „Die Großstadt“ und „der Krieg“ sowohl in der Wahl seiner Bildmotive und dem Malstil an mittelalterlichen Vorlagen. Weckt sein zweites Triptychon dabei durchaus noch Assoziationen an die biblische Apokalypse, so zeigt er in seinem ersten das weltliche Nachtleben der 20er Jahre, ohne spirituellen oder religiösen Bezug. Und Giovanni Segantinis „Alpentriptychon“[4] wird nur über die erst später vorgenommene Benennung „Werden-Sein-Vergehen“ wieder mit spiritueller Bedeutung aufgeladen. Sophie Taeuber-Arp schließlich entdeckt das Triptychon für einen Dreiklang abstrakter Formen, viele abstrakt und minimalistisch arbeitenden Künstler und Künstlerinnen folgen ihr. Der Betrachter kann sich nicht mehr auf tradiertes Wissen dieser Bildinhalte berufen, sondern erfährt einerseits Grenzen seines Denk- und Sinnesvermögens und gleichzeitig den Reiz diese Grenzen auszuloten und mit ihnen zu spielen.

 

 

 

Christiane Herold und Helmuth Hager greifen auf vielfältige und, die Betrachter und Betrachterinnen immer wieder überraschende Weise diese lange Geschichte des Triptychons auf, spielen mit ihr und entwickeln sie eigenwillig weiter.

 

Herolds Kunst ist Konzeptkunst, in der Zufall eine große Rolle spielt. Er liefert die Inspiration für das Konzept und entwickelt es weiter. Farben beeinflussen aufgrund ihres Symbolgehalts die inhaltliche Aussage eines Bildes. Genauso wichtig ist aber der Titel, der den Triptychen beigegeben ist, weil er einerseits den Betrachter in eine bestimmte Denkrichtung lenkt, ihn aber andererseits auch zu Assoziationen auffordert. Dabei spielt Herold mit sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten und mit verschiedenen Sprachen, verändert sich doch in jeder Sprache Klang und Syntax, was – ähnlich wie bei Segantini - wieder unterschiedliche Arten der Bildbetrachtung provoziert.

 

Auch bei den verwendeten Farben verbindet Christiane Herold Tradition und Innovation. Einerseits stellt sie diese ähnlich den von mittelalterlichen Kirchenmalern verwendeten her, andererseits arbeitet sie aber auch mit modernen Pigmenten und schafft in der Kombination von beidem neues. Schnell und gestisch arbeitet sie, lässt sich vom Unbewussten leiten und hat doch das Ziel Ideen in Farben zu übersetzen. So entstehen Bilder und Texte, die auch für die Künstlerin selbst nicht vorhersehbar waren und selbst immer wieder neue, eigene Konzepte provozieren. Herold nennt dies einen „hermeneutischen Zirkel des Zufalls“. In den drei ausgestellten Werken – ‚Der Sturm‘, ‚Zeichen der Zeit‘, ‚Artefakt‘ – ist es der Mensch, der mit seiner Sprache, seinem Konflikt mit den eigenen Fehlern und mit der Umwelt ins Zentrum gerückt wird. Die drei Tafeln stehen jeweils in einem spür-, ja fühlbaren Spannungsverhältnis zueinander, bedrohlich fast im ‚Sturm‘ und im ‚Artefakt‘, eher tänzerisch, fortschreitend im ‚Zeichen der Zeit‘. Die Titel führen den Betrachter in das Thema hinein, die farbige, durchaus wuchtige Pinselstrichführung schafft Raum für weitergehende Assoziationen und Narrative.

 

 

 

Auch für Helmuth Hager ist der Mensch immer zentral in seinem Schaffen. Und auch hier sind die großen Themen dessen Spiritualität, Fehlbarkeit und Narzissmus, sowie seine Überheblichkeit gegenüber der Welt und der Schöpfung. Im „Großen Rennen‘ verknoten sich im ersten Bild Menschenleiber mit amorphen Figuren und Maskenträgern. Alles eilt auf ein nicht erkennbares Ziel zu, die Oberhand scheint ein nicht verkleideter Mensch zu behalten, der im Zeigegestus aber bereits auf das kommende im Mittelgroßen Hauptteil verweist. Dort hat der Maskenmann seinen Gegner besiegt, aber sein Ritt auf dem Steckenpferd offenbart das karnevaleske an diesem Sieg. Und schließlich liegt der im ersten Bild triumphierende mit schlaffen Gliedern und geschlossenen Augen in einem Bottich. Vergeblich versucht ein krähender Hahn in aufzuwecken. Ist er tot oder nur ermattet von den Kämpfen? Ist es ein gewalttätiger Karnevalsumzug oder eine Allegorie auf den Aufstieg und Fall des Menschen? Der Betrachter ist gefordert, sich selbst seine Geschichte zu erzählen.  Die Geschichte im „Flug des Ikarus“ glaubt sicher jeder zu kennen. In der griechischen Mythologie, auf die sich der Bildtitel beruft, scheitert Ikarus an seinem Verlangen sich zu den Göttern zu erheben und ihnen gleich zu werden. Aber Hagers Ikarus ist ein anderer, kein scheiternder, auch wenn aus dem ruhigen Gleiten im ersten Bild ein wirbelndes Trudeln im zweiten und schließlich ein Sturzflug im dritten wird. Denn es ist kein verzweifelter Ikarus, sondern einer, der noch im Fallen triumphiert, weil es ihm nicht darum ging, sich zu den Göttern zu erheben, sondern nur, der erdgebundenen Kleingeistigkeit zu entfliehen. Im ‚Gedankenflug‘ glaubt man zunächst Engel zu erblicken, was ja durchaus zum Bildtypus passen würde. Aber diese Engel sind keine, sie blicken mit ihren leeren Augenhöhlen nicht nach außen, bleiben schemenhaft, fast unkörperlich, richten ihren Blick nach innen, so wie Gedanken dies tun. Unwillkürlich ist man an das Studentenlied erinnert: Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten, sie fliehen vorbei wie nächtliche Schatten, kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen, es bleibet dabei – die Gedanken sind frei. Frei bewegen sich auch die Figuren in der ‚Dance Company‘, bleiben aber trotzdem aufeinander bezogen. Und im „Last View“ sind es nur noch Köpfe, die der Erde als einer geometrischen, von Bild zu Bild sich auflösenden Figur folgen.

 

 

 

Aber vielleicht sind all diese Eindrücke beim Betrachten der Bilder nur mein Blick auf die Triptychen. Wahrscheinlich erzählen sie ganz andere Geschichten für andere Besucher und Besucherinnen, die andere Perspektiven und andere Sehweisen mitbringen und andere Narrative mit den Kunstwerken verknüpfen. Denn „vollendet“, so Helmuth Hager, „wird das Kunstwerk erst durch den Betrachter“. Dessen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, weil auch die Kunstwerke von Christiane Herold und Helmuth Hager keine setzen.

 

 

 

Prof. Dr. Claudia Brinker- von der Heyde

 



[1] Heute befindet es sich in der Pinakothek München. Abbildung des Mittelteils: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/Pdxz2PAxw5;Abbildung des rechten Flügels: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/7yxYYA6xYm; Abbildung des linken Flügels: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/wE4KJNKGZ5.

[2] Klaus Lankheit: das Triptychon als Pathosformel. Heidelberg 1959.

[3] Heute im Kunstmuseum Stuttgart aufbewahrt.

[4] Heute im Segantini Museum, St. Moritz.